Ein
Dekubitalgeschwür ist ein Bereich lokaler Schädigung der Haut und des darunterliegenden Gewebes. Es wird auch
Druckgeschwür,
Wundliegegeschwür, oder jeweils
-ulkus genannt. Gleichbedeutend ist auch die Bezeichnung
Dekubitus (zu lateinisch
decumbo‚ sich niederlegen‘)
1.
Dekubitalgeschwüre können Pflegefehler sein und werden deshalb auch als Gradmesser der Pflegequalität gewertet.
Dekubitusklassifikation nach Grad (Shea 1975) und Stadium (Seiler 1979)
Dekubitusgeschwüre werden nach J.D. Shea
2 in vier Grade und nach Walter O. Seiler drei Stadien eingeteilt:
3- Grad 1: nicht wegdrückbare, umschriebene Hautrötung bei intakter Haut. Weitere klinische Zeichen können Ödembildung, Verhärtung und eine lokale Überwärmung sein.
- Grad 2: Teilverlust der Haut; Epidermis bis hin zu Anteilen des Koriums sind geschädigt. Der Druckschaden ist oberflächlich und kann sich klinisch als Blase, Hautabschürfung oder flaches Geschwür darstellen.
- Grad 3: Verlust aller Hautschichten einschließlich Schädigung oder Nekrose des subkutanen Gewebes, die bis auf, aber nicht unter, die darunterliegende Faszie reichen kann. Der Dekubitus zeigt sich klinisch als tiefes, offenes Geschwür.
- Grad 4: Verlust aller Hautschichten mit ausgedehnter Zerstörung, Gewebsnekrose oder Schädigung von Muskeln, Knochen oder stützenden Strukturen wie Sehnen oder Gelenkkapseln, mit oder ohne Verlust aller Hautschichten.
- Stadium A: Wunde „sauber“, Granulationsgewebe, keine Nekrosen
- Stadium B: Wunde schmierig belegt, Restnekrosen, keine Infiltration des umgebenden Gewebes, Granulationsgewebe, keine Nekrosen
- Stadium C: Wunde wie Stadium B mit Infiltration des umgebenden Gewebes und/oder Allgemeininfektion (Sepsis)
Entstehung
Der Begriff
Druckgeschwür weist auf die lokale Druckbelastung als maßgeblichen Entstehungsfaktor hin. Die Belastung lässt sich bewerten nach der Formel: Druck × Zeit. Überschreitet von außen auf Gefäße einwirkender Druck den Kapillardruck der Gefäße, so kommt es zu trophischen Störungen. Dieser Grenzwert wird in der Literatur oft auch als
physiologischer Kapillardruck bezeichnet. In der Regel reicht bereits das Eigengewicht des jeweiligen (unbewegten) Körperteils aus, um den Kapillardruck zu überschreiten. Verschiedene Studien zu dessen Bestimmung (unter anderem von E. M. Landis, K.-D. Neander, Yamada und Burton) lieferten Werte zwischen 32 und 70 mmHg für eine Unterbrechung der Blut
zufuhr.
Dauert eine Druckbelastung oberhalb der Kapillardruckschwelle länger an, kommt es zu einer Unterversorgung der Zellen mit Sauerstoff (
Hypoxie) und Nährstoffen. Der Sauerstoffpartialdruck sinkt auf 0 mmHg (
Ischämie) und toxische (saure) Stoffwechselprodukte sammeln sich an. Das Gewebe nekrotisiert und Nervenzellen erleiden eine irreversible Schädigung. Die Zunahme saurer Stoffwechselprodukte löst bei gesunden Menschen einen Reflex zur Umlagerung und damit Entlastung gefährdeter Hautstellen aus, bevor bleibende Schädigungen eintreten. Bei älteren und kranken Personen sind diese Reflexe oft nur noch eingeschränkt oder gar nicht vorhanden, die erforderliche Entlastung des Gewebes unterbleibt. Als Folge der Übersäuerung des Gewebes stellt der Körper die Gefäße weit (Gefäßdilatation), sodass diese Hautareale stärker durchblutet werden – eine auch bei Druck bleibende Hautrötung – Dekubitus Grad I – ist die Folge. Als besonders gefährdet gelten Stellen mit geringer Weichteildeckung (Muskeln oder Fettgewebe) und nach außen gekrümmten (konvexen) knöchernen Widerlagern: die Kreuzbeinregion, die Fersen, die Rollhügel der Oberschenkelknochen und die Knöchel. Druck kann hier nicht genügend verteilt werden, da es kein Unterhautfettgewebe gibt.
Die Entstehung eines Dekubitus muss als multifaktorielles Geschehen als Folge intrinsischer und extrinsischer Risikofaktoren gesehen werden. Die intrinsischen Faktoren liegen „im Patienten selbst“ (reduzierte Mobilität, hohes Alter/Altersschwäche, Ernährung, Austrocknung, Körpergewicht, Zusatzerkrankungen, Infektionen, Harn- bzw. Stuhlinkontinenz, Sensibilitätsstörungen, …) begründet. Die extrinsischen Faktoren sind durch das Umfeld des Patienten bestimmt. Sie lassen sich – im günstigen Fall – durch Mobilisierung und geeignete Hilfsmittel sowie durch korrekte Umlagerung (siehe auch Dekubitusmatratze) und konsequent geplante Pflege des Betroffenen positiv beeinflussen.
Als weitere extrinsische Faktoren, die die Entstehung eines Dekubitus begünstigen, gelten:
- Scherkräfte führen zu Verdrillungen der Blutgefäße; trophische Störungen sind die Folge. Gerade bei älteren Menschen, bei denen eine Abnahme des Wassergehaltes der Haut zu einem Elastizitätsverlust führt, kann es durch Scherkräfte auch zu einer Trennung ganzer Hautschichten voneinander kommen;
- Reibung führt zu Verletzungen an der Hautoberfläche;
- Temperaturen in unphysiologischen Bereichen und starke Feuchtigkeit führen zu einem Erweichen (Mazeration) der oberen Hautschicht, die dadurch anfälliger für Verletzungen wird.
Weiterhin fördern folgende Faktoren einen Dekubitus:
- Fieber ? Schwitzen und erhöhter Sauerstoffverbrauch
- Harn- und Stuhlinkontinenz, zusätzlich saurer pH
- Adipositas ? Druck durch mehr Gewicht, vermehrtes Schwitzen
- Kachexie ? mangelnde Polsterung durch fehlendes Unterhautfettgewebe
- Querschnittlähmung, da mögliche Druckstellen (insbesondere am Gesäß) nicht rechtzeitig bemerkt werden.
- Weitere Faktoren: Herzinsuffizienz, Diabetes mellitus, Abwehrschwäche und schlechter Allgemeinzustand
Scoring-Systeme haben sich als günstig erwiesen, um das Dekubitusrisiko aufgrund intrinsischer Faktoren einzuschätzen. Dazu vergibt man für verschiedene Kategorien (beispielsweise geistiger Zustand, körperlicher Zustand, Beweglichkeit, …) Punkte. Patienten unter einer bestimmten Punktzahl gelten dann als gefährdet.
Schon in den 1950er-Jahren entwickelte Doreen Norton die
Norton-Skala. Die zunächst unzureichende und zum Teil schwammig formulierte Skala wurde 1985 zur
modifizierten Norton-Skala erweitert. Neben der
Medley- und
Waterlow-Skala, die eher von spezifischen Patientenvorstellungen oder Pflegebereichen ausgehen, wird heute primär in den USA die
Braden-Skala eingesetzt, die unter anderem die Kategorien „Reibung und Scherkräfte“ sowie „sensorisches Empfindungsvermögen“ einführt.
Offene Dekubitalgeschwüre können die Eintrittspforte für Erreger sein, die nicht nur lokale Infektionen verursachen. Eine Dekubitalläsion kann daher zum Beispiel durch Streuung von Eiter
herden über die Blutbahn eine schwerwiegende und unter Umständen tödliche Folgeerkrankungen wie Lungenentzündung (Pneumonie) oder Blutvergiftung (Sepsis) nach sich ziehen.
Vorbeugung
Die Prophylaxe besteht in der
- Vermeidung von Druckstellen durch
- Freilagerung oder Abpolsterung von Prädilektionsstellen wie vorstehenden Knochenpunkten,
- abwechselnder Lagerung Hilfloser,
- Ausstreichen von Falten in Kleidung oder Unterlagen,
- Korrektur falsch liegender Katheter-/Sondenschläuche und
- Vermeidung zu enger Kleidung oder Schuhe. Im weiteren durch
- optimierte Hautpflege (sauber, trocken, geschmeidig) mithilfe von
- durchblutungsanregender Massagen an gefährdeten Körperstellen mit intakter Haut (z. B. mit Stumpf-Pflegemitteln, durchblutungsanregenden Lotionen) und
- zeitnaher Versorgung bei Harn- oder Stuhlinkontinenz wegen der hautreizenden Wirkung der Ausscheidungen sowie
- frühzeitiger Mobilisation und
- angepasster Ernährung mit Vermeidung von Dehydratation, Mangel- und Unterernährung.
Eine Verbesserung der Versorgung kann über Erfassung der Einzelgefährdung im Rahmen von Skalen, z. B. Braden- oder Norton-Skala, erfolgen.
Hilfsmittel zur Dekubitusprophylaxe sind neben bestimmten Lagerungssystemen u. a. Schaffelle oder Anti-Dekubitus-Felle aus Schurwolle, die neben der Druckentlastung die Scherkräfte auf die Haut reduzieren und Feuchtigkeit gut ableiten. Große klinische Studien
4 zeigen einen Rückgang der Dekubitusfälle, wenn Schaffelle gemäß australischem Standard verwendet werden. Diese Felle sind bei bis zu 95 °C waschbar und hygienisch unproblematisch.
Nicht zu vernachlässigen ist die psychische Situation von Betroffenen. Sie sind durch ein ganzheitliches Pflegekonzept eher zur eigenen Motivation, Ernährung, Mobilisation, Prophylaxe usw. anzuregen. Sie sollten am gesellschaftlichen Leben teilnehmen und mit anderen Menschen zusammentreffen, statt den ganzen Tag nur im Bett oder Zimmer zu verbringen.
Literatur
- Gessmann, Hans-Werner: Eine Korrelation zwischen Micro-Movements und Schlafstadien. Ein Beitrag zur Dekubitus-Prophylaxe. Schriften zur Schlafpsychologie und Schlafmedizin. Verlag des Psychotherapeutischen Instituts Bergerhausen, Duisburg, 2013, ISBN 978-3-928524-71-1
- Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, Köln 2011: siehe http://www.gesundheitsinformation.de/merkblatt-vorbeugung-von-druckgeschwueren.527.de.html sowie http://www.gesundheitsinformation.de/dekubitus-koennen-spezielle-matratzen-und-auflagen-druckgeschwuere.528.de.html
- Christel Bienstein, G. Schröder, M. Braun, K.-D. Neander (Hrsg.): Dekubitus – Die Herausforderung für Pflegende. DBfK-Verlag, 2000, ISBN 3-92-794416-5.
- Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP, Hrsg.): Expertenstandard Dekubitusprophylaxe in der Pflege. Entwicklung – Konsentierung – Implementierung. 2. Auflage mit aktualisierter Literaturstudie (1999-2002), 2004, ISBN 3-00-009033-9.
- H. Lubatsch: Dekubitusmanagement auf der Basis des Nationalen Expertenstandards. Schlütersche, 2004, ISBN 3-89993-121-1.
- A. Fuchs: Dekubitus. Kohlhammer, 2004, ISBN 3-17-018255-2.
- Jennifer Anders et al.: Dekubitalgeschwüre – Pathophysiologie und Primärprävention. In: Deutsches Ärzteblatt. Band 107, 2010, S. 371–382. [http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/artikel.asp?src=heft&id=75308|8=]
Weblinks
- [http://www.pflegewiki.de/wiki/Dekubitus PflegeWiki.de – Dekubitus]
- [http://www.dnqp.de/ExpertenstandardDekubitusprophylaxe_Akt.pdf Expertenstandard Dekubitusprophylaxe in der Pflege]
Einzelnachweise
1 http://dictionary.reference.com/search?q=decubitus (englisch)
2 J. Darrell Shea: Pressure sores: classification and management in: Clinical Orthopedics and Related Research 112, 89-100.
3 W. O. Seiler.
Dekubitus – Pathogenese und Prophylaxe (I). In: Wundforum: das Magazin für Wundheilung und Wundbehandlung. Nr: 3. 2002.
4 Jolley DJ et al.:
Preventing pressure ulcers with Australian medical sheepskin. In medical Journal of Australia 2004