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Verweigerung der Nahrungsaufnahme

Margula Wilhelm am 26.8.2012
So 26 Aug Immer wieder kommt es vor, dass Pflegefälle oder Demente die Aufnahme von Flüssigkeit und Nahrung ablehnen oder sogar strikt verweigern. Damit bringt der alte Mensch Angehörige, Pflege­personal wie auch Ärzte zur Verzweiflung.

Selbstverständlich kann die heute schon fast allmächtige Medizin auch mit diesem Problem leicht „fertig werden“. Die Zauberformel heißt hier (vgl. meinen Artikel) PEG-Sonde. Die perkutane endoskopische Gastrostomie, abgekürzt PEG, ist ein endoskopisch angelegter, künstlicher Zugang zum Magen. Die PEG-Sonde ist eine Ernährungssonde, die durch die Bauchdecke hindurch in den Magen gelegt, fixiert und an der Bauchwand angenäht wird. Diese „einfache“, „kostengünstige“ und „effektive“ Intervention löst rasch das Problem, welches die Umwelt des nahrungsverweigernden Patienten mit dessen Verhalten hat. Deshalb wird die PEG Sonde oft auch als „ultima Ratio“ hingestellt und Angehörigen eingeredet, nur so wäre der Patient „vor dem Verhungern“ zu bewahren. Ärzte die den Eingriff empfehlen und die den Eingriff durchführen, nehmen in den meisten Fällen keine Rücksicht auf den Willen des Patienten. Der Patientenwille wird gar nicht erst erkundet, oder schlicht missachtet.

Was bewirkt die PEG-Sonde beim Patient?

Ob orientiert oder desorientiert – Jeder Patient weiss, empfindet oder bemerkt zumindest irgendwann, dass er keine Nahrung mehr schluckt. Er muss die Demütigung hinnehmen, sich auch gegen seinen Willen ernähren lassen zu müssen. Er erkennt seine Ohnmacht, sich dagegen nicht mehr wehren zu können. Meist verliert er auch die persönliche Zuwendung durch das Pflege-personal, weil die „Technik des Fütterns durch die Sonde“ keinen Patientenkontakt mehr erfordert. Dass es bei Ernährung durch die PEG Sonde keine Möglichkeit mehr gibt Geschmack einer Nahrung wahrzunehmen ist ebenso Tatsache, wie dass der Patient keine Konsistenz der Nahrung mehr spüren kann, geschweige denn sehen könnte, wie eine „Speise“ angerichtet ist.

Sturheit, moralischer Druck auf Anghörige und vieles Andere können das Verhalten des Nahrungs­verweigernden beschreiben. Aber was möchte der Patient bzw. was möchte uns der Patient mitteilen?

Zur Beantwortung dieser wichtigen Frage bedarf es der Abklärung, der Diskussion oder des Diskurses was denn der Grund für die Nahrungs-verweigerung ist.

Verspürt der Patient kein Hunger- und/oder Durstgefühl? Schmeckt ihm das angebotene Essen vielleicht nicht, weil er seinen Geschmackssinn verloren hat? Möchte er gefüttert werden oder will er sogar, dass ihm nur bestimmte Personen (Angehörige) das Essen bringen bzw. dass nur gewisse Familien-mitglieder ihn füttern, um so moralischen Druck auf Angehörige auszuüben? Ist es vielleicht ein exzessiver Ausdruck des Charakterzuges „Sturheit“? Verlangt er mit seinem Verhalten nach generell mehr Aufmerksamkeit und Zuwendung? Oder aber belässt er Bissen im Mund, weil der Demente „vergessen hat, wie man schluckt“? oder weil er gar nicht schlucken möchte (passive Verweigerung)? Vielleicht aber haben wir es mit aktiver Verweigerung der Nahrungsaufnahme zu tun, in Form von Zusammenpressen der Lippen oder durch Zurückspucken der Nahrung.

Es gibt also eine Vielzahl von möglichen Ursachen für Verweigern der Nahrungsaufnahme; und gar nicht wenige dieser Ursachen drücken ja recht deutlich den Patientenwillen aus, den er selbst meist nicht mehr artikulieren kann, oft aber auch nur nicht aussprechen möchte. Wenn Verweigern der Nahrungsaufnahme mit Aussagen einhergeht, wie: „mir kann man nicht mehr helfen“, dann sendet der Patient ein unmissverständliches Zeichen, dass er nicht mehr weiterleben möchte oder keine Kraft zum Weiterleben mehr aufbringen kann.

Vor diesen genannten Aspekten der Nahrungsverweigerung ist natürlich sicherzustellen, dass keine behebbaren, krankhaften Veränderungen im „mechanischen Bereich“ des Schluckaktes vorliegen. Keine schmerzhaften Schleimhautveränderungen in der Mundhöhle, Aphten, Infektionen, Schmerzen bedingt durch Restzähne oder Veränderungen im Kieferbereich; keine Schleimhautveränderungen oder Engstellen in der Speiseröhre; keine Magenschmerzen nach Nahrungsaufnahme und auch keine Lähmungen (z. B. nach Schlaganfall), die Schluckstörungen verursachen oder den Schluckakt gänzlich unmöglich machen.

Jetzt stellt sich die Frage, ob wir (Angehörige, Pflegepersonen und Ärzte) uns über den Patienten­willen hinwegsetzen dürfen, um einfach das zu tun was uns nach unserer Betrachtungsweise und aufgrund unserer Lebenserfahrung vernünftig erscheint. Oder ist es im Sinne der Patientenautonomie nicht eher unsere Pflicht den Patientenwillen zu erkunden und zu respektieren?
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