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Das ärztliche Gespräch – Beratung von Nicht-Medizinern

Margula Wilhelm am 7.9.2014
So 7 Sep Das persönliche Gespräch zwischen Arzt und Betroffenem (Patient oder Angehöriger) bringt für den Arzt meist zusätzliche, wichtige Information und es erzeugt beim Betroffenen Vertrauen, Zuversicht, Beruhigung, Sicherheit – kurz eine Fülle von emotionellen, nicht messbaren Kriterien die für die Genesung und für die Unterstützung des Patienten von großer Bedeutung sind. Auch Angehörige sollten auf all das nicht zu verzichten. Das ärztliche Gespräch kann zwar durch nichts ersetzt werden, trotzdem wird es immer seltener geführt.

Auf ärztlicher Seite sind dafür leider nicht nur die beiden populistischen Argumente verantwortlich „Zeitmangel“ und „wird von der Krankenkassa nicht bezahlt“. Weil auch in der Medizin vieles (gemäß statistischer Häufigkeit) automatisiert abläuft, haben Mediziner verlernt ihre Intuition und ihre Sinne zu schärfen, ärztliche Erfahrung zu sammeln und in die Arzt-Patient Beziehung einfließen zu lassen. Wo nach state-of-the-art und nach Leitlinien behandelt wird, hat nichts mehr Platz was nicht diesen Normen entspricht. Darüber hinaus hat das geltende Motto „jeder klagt jeden“ Ärzte sehr vorsichtig gemacht. Vor dem Richter kann sich kein Arzt damit verantworten nach seiner Intuition und nach seiner Erfahrung gehandelt zu haben. Allemal aber „geht frei“, wer nach evidence based medicine oder nach Leitlinien gehandelt und behandelt hat.

Von Betroffenenseite wird das persönliche Gespräch u.a. deshalb immer seltener in Anspruch genommen, weil heute jeder über das Internet Zugang zu Fachinformation hat. Laien fühlen sich mit dem im Internet zugänglichen Wissen um ein Vielfaches besser informiert als sie zuvor waren. Manchmal sind sie sogar auch wirklich besser informiert als ein Arzt, der nicht auf dem neuesten Stand ist. Doch der Schein trügt. Mit medizinischer Information ausgestattet fühlen sich viele Menschen genug kompetent den eigenen Gesundheitszustand zu beurteilen und zu behandeln. Ja sie nehmen es sich oft heraus, auch den Gesundheitszustand anderer Menschen zu beurteilen; sie maßen sich sogar an Personen wegen bestimmter Symptome zu verurteilen. Das wiederum führt dazu, dass immer weniger Leute – sogar mit einem Arzt – über ihre „Probleme“ oder Symptome sprechen wollen, weil sie nicht das Gefühl haben möchten bloßgestellt zu sein. Sie haben Angst davor, was ein Arzt daraus alles erkennen könnte. Selbstverständlich beurteilen sie auch diese Eventualität nicht mit der Kompetenz eines Fachmanns sondern nur mit dem aus dem Internet erlangten Wissen. Deshalb wenden sie sich erst gar nicht an den Arzt.

Der Zugang zu Informationen und sogar das Besitzen von speziellem Detailwissen können den Laien noch nicht zum guten ‚Eigenbehandler‘ machen. Denn neben richtiger medizinischer Behandlung braucht es auch ärztlichen Zuspruch und die Kompetenz eines Arztes. (Ärzte wissen sehr wohl, weshalb sie in wichtigen Fällen ihre eigene Behandlung einem/einer KollegIn überlassen!) Wer auf ein Arztgespräch verzichtet kann auch die Sicherheit nicht spüren nach welcher er sucht und sich sehnt. Um Beruhigung und positiven Vorwärtsblick zu erfahren ist es (neben der notwendigen beruflichen Distanz zum Patient) auch wichtig medizinische Zusammenhänge zu kennen, ist es wichtig menschliche Unsicherheiten und Ängste zu verstehen und ist es notwendig der beim Betroffenen vorhandenen Ungewissheit vor der Zukunft richtig zu begegnen. Ein Arzt hat entsprechende Erfahrung, er hat schon wiederholte Male Genesungsprozesse eingeleitet und miterlebt, er hat aber auch schon negative Entwicklun­gen gesehen, und kann sie deshalb wiedererkennen oder sie gegebenenfalls überzeugend ausschließen; der erfahrene Arzt muss „zwischen den Zeilen“ der Fragen von Betroffenen lesen können; und er muss sich die notwendige Zeit für Antworten nehmen. Komponenten die bei Ärzten auch isoliert kaum mehr anzutreffen sind, kommen gleichzeitig – wenn überhaupt – nur mehr äußerst selten vor.

Ein weiterer Grund, weshalb Betroffene immer seltener zum Arztgespräch gehen ist die Suche nach Geborgenheit. Betroffene wollen, dass ihre vermeintlichen Schwachstellen geschützt bleiben. Diesen Schutz bietet die Anonymität im Internet. Dort wo Leute Hilfe für ihre menschlichen Schwächen und Verletzlichkeiten suchen, ohne ihre Identität preisgeben zu wollen kann der Einzelne im Internet seine Identität gut verbergen. So muss er sich auch vor niemandem genieren und er braucht sich dann auch nicht zu „rechtfertigen“, wenn er erhaltene Empfehlungen oder Ratschläge nicht verstanden hat, nicht befolgen wollte oder einfach nicht befolgt hat.

Wer weiß wo er richtige und ehrliche Information suchen muss, der findet im Internet neueste Erkenntnisse über Krankhei­ten und Symptome. Wem die Verlässlichkeit der Information weniger wichtig ist als die Möglichkeit selbst „mitreden“ zu können, der ist in diversen Internet-Foren richtig, wo er sich mit gleichgesinnten Laien und Sonstigen austauschen kann, die einem Ratschläge geben. An Informations­wert entspricht das etwa einem Gespräch das man mit der Nachbarin auf der Straße führt und es kommt ein Passant vorbei, der dazu „etwas weiß“, weil er Ähnliches gehört oder sogar schon selbst erlebt hat. Mit Infor­mation und mit Ratschlägen die man in Internet-Foren bekommt sollte man sehr vorsichtig und kritisch umgehen.

Schon etwas verlässlichere Information bekommt man, wenn man einen ersten Schritt aus der Anony­mität heraus wagt. Z.B. in eine Selbsthilfegruppe geht. Manche Menschen sind bereit sich in einer Selbsthilfegruppe zu zeigen – wo sie glauben an relevante u/o nützliche Informationen zu gelan­gen, weil dort ja alle Menschen „dieselben Probleme“ hätten. Vielleicht sind Symptome oder sogar Diagnosen dieselben, aber Probleme die ein Individuum hat, sind mit Sicherheit nicht „dieselben Probleme“ die ein zweites Individuum hat; und noch viel weniger kann man sagen, dass eine Problemlösung jemandem helfen muss, weil sie schon einem anderen geholfen hat. Jeder Mensch – ob der Erkrankte selbst, oder ein Angehöriger – hat seinen eigenen Charakter, seine eigene Umwelt, sein eigenes Empfinden, seine eigene Lebenserfahrung und seine eigenen Verarbeitungswerkzeuge. Schon aus diesem Grund haben Menschen in einer Selbsthilfegruppe weder „dieselben Probleme“ oder kann es für jeden der dorthin geht das „Patentrezept“ geben. Dennoch ist es meist schon eine Hilfe wenn man sieht, dass man nicht der einzige Mensch auf dieser Welt ist, dessen Problem durch eine derartige Gesundheitsveränderung entstanden ist. Trotzdem ist jeder mit seinem Problem alleine.

Der direkteste und wirksamste Schritt um individuelle Hilfe zu bekommen um mit medizinischen Problemen fertig zu werden ist, sich beim Fachmann zu „offenbaren“. Das ist aber für viele Menschen auch die „schwierigste“ Form. Das helfende Gespräch bleibt aus, wenn es in einem „hektischen“ Umfeld stattfinden müsste, weil der Arzt keine Zeit hat. Gleichfalls findet es nicht statt, wenn der Arzt auch nur versucht dem beratenden Gespräch auszuweichen. Dann spürt der Betroffene sogar noch verstärkt, mit seinem Problem alleine da zu stehen.

Das direkte virtuelle Arztgespräch via Internet oder per Email ist die Brücke, die Menschen bei erhaltener Anonymität zum Fachmann bringt.

Das Einrichten einer solchen Plattform ist in Planung, denn ich sehe es für angebracht den beiden großen, aber doch sehr unterschiedlichen Gruppen, pflegende und nicht-pflegende Angehörige das virtuelle Arztgespräch zur Verfügung zu stellen. Sie stehen oft im Berufsleben, sodass sie (tagsüber) kaum Zeit finden einen Geriater zu suchen oder den Geriater zu konsultieren. Speziell für diese Personengruppe sind „Arztgespräche“ via Email ideal. Beim virtuellen geriatrischen Arztgespräch wird es weder um Diagnostik noch um Therapie gehen. Hier wird es um Erklärung des Zustandes geriatrischer Patienten gehen, sowie um Anleitung für Betroffene ihre eigenen Werkzeuge am effektivsten einzusetzen. Dabei wird es generell um die Beratung von Nicht-Medizinern gehen.

In der Geriatrie, wo Angehörigenberatung nicht nur für den Angehörigen selbst wichtig ist, sondern auch dem Patient zugutekommt, bietet sich die virtuelle Sprechstunde förmlich an. Berufstätige Kinder oder Enkelkinder der Pflegebe­dürftigen aber auch pflegende Angehörige haben oft auch nicht das Gemüt über das zu sprechen, was sie belastet. Sie trauen sich meist auch gar nicht auszusprechen was sie in Wirklichkeit denken oder am liebsten „zum Himmel schreien“ möchten. Nicht selten aber haben sie auch Mühe zu artikulieren und zu formulieren, was sie bedrückt.

Wer sich selbst nichts vormachen möchte, wer sich eingesteht mit dem im Internet verfügbaren Wissen für sich selbst nichts anfangen zu können, wer mit seinem eigenen Gesundheitszustand oder wegen des Gesundheitszu­standes eines Angehörigen aber Probleme hat, wer nicht Antworten auf theoretisch-medizinischer Basis sucht sondern Antworten zum praktischen Umgang mit medizinischen Situationen braucht und wer Mühe hat seine Fragen zu formulieren oder zu präzisieren, dem wird die virtuelle Arztsprechstunde nützen.

Unlösbar erscheinende Probleme bestehen meist aus mehreren oder gar aus vielen Komponenten. Der erste Schritt den man zu tun hat, um zu einer Lösung zu gelangen ist, Einzelkomponenten zu erkennen isoliert zu betrachten und zu benennen. Im zweiten Schritt muss man sich darüber klar werden, welche Frage(n) einer Komponente man beantwortet haben möchte (dafür habe ich unter „erwartete Antwort“ einige Fragen gelistet, aus welchen man auswählen kann). So kann man schrittweise vorwärtskommen, bis der gesamte Komplex entwirrt und gelöst ist.

Um die geplante virtuelle Arztsprechstunde anschaulich zu machen, zeige ich hier an einigen Fragen wie solche formuliert sein sollen:

Probleme von pflegenden Angehörigen

Er/sie wird aggressiv, sobald …
Er/sie ist starrsinnig (bitte nennen Sie zumindest ein Beispiel)
Er/sie hilft nicht mit, bei …
Er/sie hat einen gestörten Tag-Nacht-Rhythmus, was zur Folge hat, dass …
Er/sie spricht zu/mit längst Verstorbenen Personen, was bedeutet dass
Er/sie spricht nicht mehr, sodass …
Er/sie wirft mir vor, mich nicht um ihn/sie zu kümmern, obwohl …
Zuhause geht es nicht mehr, er/sie will aber nicht in ein Heim, weil …
Zuhause geht es nicht mehr, ich habe aber versprochen ihn/sie nie in ein Heim zu geben, weil …
Er/sie lebt bei mir/uns, das Problem dabei ist …
Er/sie verweigert Pflegemaßnahmen, wenn …
Er/sie vernachlässigt Körperhygiene, was bedeutet …
Er/sie verweigert essen und/oder trinken, seit …
Er/sie ist so sehr verwirrt, dass er/sie …
Er/sie verweigert Inkontinenzprodukte (Windeln), sodass …
Ich möchte/wir wollen auf Urlaub fahren, aber …

Probleme von nicht-pflegenden Angehörigen

Ich habe Schuldgefühle, weil …
Ich möchte für ihn/sie das Beste …
Wie kann ich ihn/sie dazu bringen, dass …
Ich trage die ganze Last, während die anderen …
Ich bin ein Einzelkind (oder mein Bruder/meine Schwester ist verstorben) und …
Wir haben ein Leben lang nur gestritten und jetzt …
Er/sie war nie für mich da, und jetzt …
Ich habe immer alles für ihn/sie gemacht, und jetzt am Ende kommt …
Er/sie lebt alleine, was zum Problem geworden ist, weil …
Er/sie hat an allem Interesse verloren, seit …
Er/sie zieht sich zurück, seit …
Er/sie lässt keine Hilfe in die Wohnung, weil … /sodass …
Er/sie ist im Pflegeheim, aber dort …
Er/sie hat eine 24-h-Betreuung, aber …
Er/sie ruft xMal am Tag an, wegen …

Erwartete Antwort

Worauf ist das zurückzuführen?

Wie soll ich mich verhalten?

Was kann ich dagegen tun?

Was kann man generell/medizinisch dagegen tun?

Gibt es andere/bessere Medikamente, um folgende Beschwerden zu mildern/zu bessern?

Was habe ich/haben wir noch alles zu erwarten?

Wohin wird sich das entwickeln?

Wer hilft mir bei …?
Allgemein Angehörige Geriatrie
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