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News > Tag der Pflege. Eine 24-Stunden-Betreuung ist eigentlich nicht leistbar

Zitat Der Standard vom 12.05.2023:

"Wenn in der Zukunft ausreichend Ressourcen zur Pflege vorhanden sein sollen, muss dringend eine neue Strategie entwickelt werden. [...] ür ein Arbeitspensum von 24 Stunden täglich, also rund um die Uhr, ist der Mensch nicht gemacht. Dennoch halten wir in der »24-Stunden-Betreuung« beeinträchtigter Menschen (fälschlich oft auch als »24-Stunden-Pflege« bezeichnet) beharrlich die Illusion aufrecht, den hier tätigen Frauen und – wenigen – Männern wäre dies über mehrere Wochen hinweg problemlos möglich und ihnen trotz bescheidener Entlohnung auch durchaus zumutbar. [...] Um die dahinterstehende Problematik nicht an der Wurzel angehen zu müssen, hat die Politik sogar eine Reihe von Gesetzen, Verordnungen, Ratgebern und Institutionen geschaffen, die uns in dieser sehr bequemen Wunschvorstellung bestärken sollen.

Beispielsweise ist in Österreich bereits seit 1. Juli 2007 das sogenannte Hausbetreuungsgesetz in Kraft, dessen Kern im Gleichklang mit der Gewerbeordnung darin besteht, die Betreuung von Menschen vor Ort auch in Form einer selbstständigen Erwerbstätigkeit, also unternehmerisch auf Werkvertragsbasis zu legalisieren. [...] Heikle Frage der Selbstständigkeit [...] Allerdings stehen derlei Konstruktionen in rechtlicher Hinsicht weiterhin auf eher wackeligen Beinen. Die Abgrenzung zwischen selbstständiger und unselbstständiger Arbeit ist nämlich äußerst heikel. Latente Grenzüberschreitungen in den unselbstständigen Bereich sind speziell im Betreuungswesen kaum zu vermeiden und gegebenenfalls mit weitreichenden Folgen verbunden. Nach ständiger Rechtsprechung sowohl des Verwaltungsgerichtshofs als auch des Obersten Gerichtshofs ist in der rechtlichen Beurteilung stets auf die konkreten Umstände des Einzelfalls abzustellen. Zu prüfen sind hier keineswegs nur die vertraglich getroffenen Vereinbarungen, sondern vielmehr die tatsächlich herrschenden Verhältnisse innerhalb der Betreuungsbeziehung. Es kommt also auf den »wahren wirtschaftlichen Gehalt« des Arrangements und weniger auf den Text einer Vertragsurkunde an. elbstständige Tätigkeit setzt immer eine gewisse Autonomie voraus, also etwa die Möglichkeit, Aufträge sanktionslos ablehnen und sich die Erledigung der Aufgaben zeitlich selbst einteilen zu dürfen, sich nach Belieben auch von anderen Personen vertreten lassen zu können und dergleichen mehr. Freiheiten also, über die Betreuerinnen und Betreuer in der Praxis typischerweise eher selten verfügen. Übersteigen Fremdbestimmtheit, persönliche Abhängigkeit, die Einbindung in ein betriebliches Weisungsgefüge etc. ein bestimmtes Maß, ist hingegen eine unternehmerische Betätigung – allenfalls auch im Nachhinein – zu verneinen. [...] 24 Stunden Betreuung heißt 24 Stunden Bezahlung [...] Saubere Lösung oder Prinzip Hoffnung [...] Dilemma der Versorgung [...] Die Gehaltsunterschiede zwischen Österreich und den Hauptherkunftsländern der Betreuerinnen und Betreuer (Rumänien, Bulgarien, Ungarn, Slowakei) verringern sich laufend. Sie sind längst nicht mehr hoch genug, um auch noch in einigen Jahren eine ausreichend große Anziehungskraft auszuüben. Fähige und motivierte Menschen werden in absehbarer Zukunft nicht mehr bereit sein, ihre Familien über mehrere Wochen hinweg zu verlassen, nur um fernab der Heimat geringfügig mehr Geld zu verdienen. [...] Tragfähige Antworten braucht das Land [...] Es ist an der Zeit, dass sich Österreich endlich eine belastbare, zukunftsweisende Strategie zurechtlegt. Insbesondere gilt es, nunmehr rasch Antworten darauf zu finden, a) ob und gegebenenfalls wie eine außerfamiliäre 24-Stunden-Betreuung moralisch, rechtlich und finanziell auf saubere Beine gestellt werden könnte, b) wie weit (moralisch, politisch und geografisch) wir Österreicherinnen und Österreich überhaupt bereit sind zu gehen, um Best-Practice-Modelle zu erkunden, weiterzuentwickeln und zeitnah in das heimische System zu implementieren, c) wie eine 24-Stunden-Betreuung vorausschauend transformiert werden kann für den Fall, dass sich in den Mitgliedsländern der Europäischen Union in absehbarer Zeit nicht mehr ausreichend Betreuerinnen und Betreuer rekrutieren lassen und d) wie gleichzeitig die Versorgungssicherheit für die wachsende Zahl an Seniorinnen und Senioren in Österreich gesichert bleibt, ohne dabei vermehrt wiederum auf pflegende Angehörige zurückgreifen zu müssen, die dazu neben allen anderen Belastungen kaum mehr im Stande sein werden.

Zur Bewältigung der bevorstehenden Herausforderungen sind keineswegs nur Politik und Verwaltung, sondern vor allem auch strategisch agierende Unternehmen eingeladen, mit neuen Ideen zur Problemlösung beizutragen. Wer nämlich in schwierigen Pflege- und Betreuungsphasen seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Regen stehen lässt, darf sich später über fehlende Loyalität nicht wundern. Schließlich kann jede und jeder von uns plötzlich betroffen sein, und dann gilt es, akut leistbare Lösungen vorrätig zu haben! [...]"

https://www.derstandard.at/story/2000146332739/eine-24-stund...
Quelle: DerStandard


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